Projektskizze

Am Anfang ein geistlicher Impuls

Spielzeug und Kuscheltiere – in Hülle und Fülle;   

Handyklingeltöne – in Hülle und Fülle;  

In Hülle – die gute Musik in der CD-Hülle;            

In Hülle – die Erbse in der Schote;             

In Hülle – der Keimling im Korn;               

In Hülle – verborgen und geborgen;          

In Hülle – verborgen und versteckt;          

In Hülle

„Gott blickte auf die Söhne Israels und gab sich ihnen zu erkennen. Mose weidete die Schafe seines Schwiegervaters Jitro, des Priesters von Midian ... und kam zum Gottesberg Horeb. Dort erschien ihm ein Engel des Herrn in einer Flamme, die aus einem Dornbusch emporschlug. ... Als der Herr sah, dass Mose näher kam, um sich das anzusehen, rief Gott ihm aus dem Dornbusch zu: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Der Herr sagte: Komm nicht näher heran, leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden. Dann fuhr er fort: Ich bin der Gott deines Vaters Abraham, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Da verhüllte Mose sein Gesicht (Ex 2,25; 3,1-6).

Wie kam es zu „In Hülle und Fülle“?

Die Einrichtungen für Erziehungshilfen der katholischen Träger in der Diözese Rottenburg-Stuttgart – die Trägerlandschaft zeigt sich nach Prägung, historischer Gewachsenheit, Größe und Ausrichtung sehr vielfältig: Stiftungen mit über 100- bis 175-jähriger Vergangenheit, gGmbH’s, die in neuester Zeit aus ausgegründeten Ordenseinrichtungen hervorgegangen sind, eingetragene Vereine, der SkF, Einrichtungen des Caritasverbandes; ferner erweiterten sich die Leistungsangebote vor allem hin zu ambulanten Diensten – haben im Jahr 2001 auf Fachverbandsebene (AGE) ihre Vernetzung restrukturiert und für die wichtigsten Hilfeangebote Foren zum gegenseitigen Austausch und zur Diskussion der fachlichen Weiterentwicklungen als verbindliche Struktur eingerichtet. Diese Foren kommen mit ihren etwa zehn bis 25 Teilnehmer/-innen mindestens zweimal im Jahr zusammen.

Auf der nächsten Ebene sollte es Arbeitskreise geben. Sie können nach Notwendigkeit für einen begrenzten Zeitraum bzw. Auftrag eingerichtet werden.

Für das Nachdenken und für Angebote im religiösen Bereich wurde der Arbeitskreis Pastorale Angebote ins Leben gerufen. Dieser Arbeitskreis ist als ständige Einrichtung gedacht, ein Hinweis, dass der AGE und ihren Mitgliedseinrichtungen der Fokus „religiöses Leben“ ein Anliegen ist. Geleitet von einem Einrichtungsleiter treffen sich mehrfach jährlich die etwa sechs Arbeitskreismitglieder aus verschiedenen Einrichtungen. Regelmäßig ist auch das Angebot jährlicher zweitägiger Besinnungstage für Mitarbeiter/-innen und Führungskräfte.

Über die Schaffung dieses zunehmend akzeptierten Angebots hinaus wuchs im Arbeitskreis Pastorale Angebote ebenso wie im Vorstand der AGE und in einigen der Einrichtungen das Bedürfnis nach einer Belebung und Verlebendigung des religiösen Erbes, das Bedürfnis nach verantworteten Standards im religiösen Bereich, das Bedürfnis, zeitgemäße und für die Kinder und Jugendlichen passende Formen religiösen Lebens in den Einrichtungen zu installieren und erleben zu können, und das auch in Situationen, in denen häufig kein pastorales Personal zur Verfügung steht.

Ferner gibt es das Bedürfnis nach religiösen Handlungsmöglichkeiten über den vollstationären Bereich hinaus – in dem religiöse Praxis noch am ehesten kontinuierlich zu entwickeln, in Veranstaltungen sichtbar zu machen und zu messen ist – zu fragen. Also auch in den ambulanten Angeboten, ebenso wie in den Schulen für Erziehungshilfe.

Dieses Anliegen wurde an den AGE-Vorstand herangetragen und dort nicht nur aufgegriffen, sondern zum eigenen Anliegen gemacht. So war der Projektgedanke geboren.

Das Anliegen: „Wie kommt die christliche Botschaft

in den Alltag der Einrichtungen der Kinder-, Jugend- und

Familienhilfe?“

Für eine erste Skizze beschrieb ich in der Begründung folgende Ausgangssituation:

Als katholischer Träger der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe ist uns die christliche Prägung der Einrichtungen und ihrer Mitarbeiter/-innen ein brennendes Thema. Wir nehmen wahr, dass bei den Mitarbeiter/

-innen eine religiös-christliche Sozialisation nicht mehr in jedem Fall vorausgesetzt werden kann.

Gleichzeitig steht der Anspruch, die christliche Botschaft leben und vermitteln zu können

  • als Einrichtung,
  • vonseiten der Leitung,
  • vonseiten der Mitarbeiter/-innen einer Dienstgemeinschaft.

Nicht zuletzt soll die christliche Botschaft im Alltag der uns anvertrauten Kinder, Jugendlichen und Familien als Lebens- und Sinnhorizont ankommen und aufscheinen.

Die Vernetzung mit dem (kirchengemeindlichen) Umfeld, funktionierende Kooperationen, z.B. mit verbandlicher Jugendarbeit oder bei Ferienfreizeiten und bei der Erstkommunion- und Firmkatechese und der Zugriff auf deren Ressourcen. Speziell die Frage nach der Zuständigkeit des pastoralen Personals sollte mitbedacht, nach Möglichkeit sollte hier die Situation für die Einrichtungen verbessert werden.

All diese Gruppierungen müssen als Adressaten Berücksichtigung finden.

Als Ziele des Projektes haben wir

die Profilierung und Stärkung der Einrichtungen, eine Selbstvergewisserung im religiösen Bereichund das Mitgestalten und Prägen der aktuellen Wertedebatte formuliert.

Dabei gingen wir davon aus, wie es auch die Leitbilder der Einrichtungen formulieren, dass christliche Inhalte und religiöse Praxis kein beliebiger – beliebter oder ungeliebter – Zusatz, sondern wesentlicher Bestandteil der Erziehung und sichtbares Merkmal einer katholischen Einrichtung sind. Wenn es aber um die Thematisierung und Umsetzung geht, schien uns, stehen viele der Grundlagen zur Debatte:

  • Welches Gottesbild herrscht vor?
  • Was versteht man unter dem christlichen Menschenbild? Ist das nur eine Überschrift, manchmal nur eine Argumentationsfloskel? Hat es praktische Auswirkungen im Handeln?
  • Mit welchem Kirchenbild sind wir konfrontiert? Welchen Sinn und welche Notwendigkeit hat die Kirche, um glauben zu können?
  • Ist Religion und Glaube nicht vielmehr Privatsache?
  • Auf welchen Argumenten, auf welchen Haltungen und auf welcher fachlichen Einsicht baut die Handlungsebene auf?
  • In welchem Verhältnis stehen religiöses und fachlich-professio­nelles Handeln? Nachdem sich die katholischen Einrichtungen in fachlicher Hinsicht rasant entwickelt und viel aufgeholt haben: Gelang dies nur in Abgrenzung zu vermeintlich christlichen und deshalb zwar engagierten, aber doch unprofessionellen Haltungen?
  • In welchem Verhältnis stehen Glaube und Lebenswirklichkeit? Wie Sonn- und Werktag? Wie Hauptgang und Nachtisch, wie Notwendiges und freiwilliges Hobby, wie Pflicht und Kür?
  • Welche Interdependenzen und Voraussetzungen gibt es, um bei einem reflektierten Handeln anzukommen?

Es wird schnell einsichtig, dass sich (religiöse) Erziehung nicht einfach mit einem Bausatz von Techniken implementieren lässt. Deutlich werden wird auch – entgegen des weitläufigen Trends der Privatisierung von Glaubenspraxis und Religionsausübung – dass Glaube nicht nur eine gefühlte Größe im persönlich-intimen Bereich ist, sondern Gemeinschaftsaspekte mit beinhaltet. In diesem Zusammenhang soll also das Kirchenbild mitbedacht werden.

So haben sich die Leitungen der Einrichtungen für Erziehungshilfen zu einem dreijährigen Projekt entschlossen, das einen Beitrag zu einer modernen religiösen Erziehung unter den heute gegebenen Bedingungen eines Bedeutungswandels (nicht Bedeutungsverlustes) der Religion leistet. Notwendig dafür scheint uns eine Analyse der Rahmenbedingungen, eine hilfreiche religiöse Theoriebildung und die Entwicklung von für die Praxis tauglichen Handlungsgrundsätze, die Mitarbeiter/-innen in ihrer Arbeit für religiöse Fragen sensibilisiert und ein Stück Sicherheit zu geben vermögen, damit sie die Fragen und Bedürfnisse nach Orientierungen bei den Jugendlichen kompetent aufgreifen können. Noch mehr als jeder und jede sind die der Jugendhilfe anvertrauten jungen Menschen auf kompetente Institutionen und Begleiter/-innen angewiesen.

Finanzierung

Unterstützend für die Projektidee wirkte sich aus, dass in den Jahren 2004/2005 aus den Mitteln einer aufzulösenden Jugendhilfeeinrichtung der Diözese ein Strukturhilfefonds Jugendhilfe bereitgestellt wurde, dessen Grundkapital die AGE-Einrichtungen mit eigenen Beiträgen verdoppelten. Als erstes Projekt, das von diesem neuerrichteten Fonds für drei Jahre gefördert werden sollte, wurde schließlich „Wie kommt die christliche Botschaft in den Alltag der Einrichtungen der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe?“ ausgewählt  ‑‑ vonseiten der Diözese wie der AGE-Mitglieder eine deutliche Priorisierung des Anliegens also, Jugendhilfeeinrichtungen in katholischer Trägerschaft religiös zu profilieren.

Pastorale Prioritäten der Diözese

Auch aus den pastoralen Prioritäten der Diözese Rottenburg-Stuttgart „Zeichen setzen in der Zeit“ ergeben sich eine Menge Anknüpfungspunkte: Die vier pastoralen Prioritäten

  • geistliches Leben stärken,
  • den Glauben erschließen,
  • Gemeinschaft und Solidarität stärken,
  • aufstehen für das Leben

sind im Jahr 2003 nach intensiven Beratungen mit dem Diözesanrat als verbindliche Leitpfade für die Pastoral der Diözese von Bischof Dr. Gebhard Fürst verabschiedet worden. Er sieht den Weg der Kirche in einer akzentuiert diakonischen Kirche. Diesen Worten entsprechen die Taten, die geübte Praxis und die Bemühungen in den Einrichtungen der Jugendhilfe.

Die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe in katholischer Trägerschaft sind hervorragende Orte, an denen menschliches und christliches Handeln in einem gesellschaftlichen Milieu ankommt, das in besonders notwendiger Weise dem Handeln von Christinnen und Christen aufgegeben ist.

Die Kirche will Menschen in existentiellen Krisen und komplexen Problemlagen nahe sein. Bei den Adressat(inn)en von Kinder-, Jugend- und Familienhilfe handelt es sich um Menschen in sehr komplexen Problemlagen. Christliche Solidarität muss deshalb besonders ihnen gelten.

Die Evangelisierung im speziellen Kontext der Heimerziehung sowie in den Diensten und Einrichtungen für Erziehungshilfen vermag die befreiende Botschaft des Evangeliums mit Menschen in Verbindung zu bringen, die an anderen Orten kirchlichen Lebens meist nicht vorkommen.

So sind die Einrichtungen der Jugendhilfe und die dort wirkenden Menschen Anwälte einer diakonischen Kirche – auch wenn sie sich selbst so nicht sehen oder so nicht gesehen werden – die für das Heil-werden des Menschen eintreten, in der Spur der Lebenspraxis Jesu, der Urheber der Fülle des Lebens ist, das in die Welt kam.

Die Konzeption in ihren wichtigsten Stationen

Die Ausarbeitung des Projekts Der AK Pastorale Angebote bildet die Projektgruppe und hat die Federführung inne. Als ständiger Arbeitskreis in der AGE übernimmt er für die Dauer des Projekts dessen Planung, Durchführung und Ergebnissicherung.

  • Die Kontakte zu den Einrichtungen und der Informationsfluss werden in der Projektgruppe koordiniert und gebündelt.
  • Die Einrichtungen haben die Möglichkeit, sich für die Teilnahme am Projekt zu entscheiden.
  • Vor Ort bilden sich einrichtungsinterne Arbeitskreise, die regelmäßig auf AGE-Ebene diözesan untereinander vernetzt werden und die dort ihre Fragen und Ergebnisse einbringen.
  • Das Projekt soll sich über eine 3-jährige Laufzeit von 2006 bis 2008 erstrecken.

Wissenschaftliche Begleitung

  • Für die wissenschaftliche Begleitung konnte die Philosophisch-Theologische Hochschule der Salesianer Don Boscos Benediktbeuern mit ihrem Fachbereich Jugendpastoral unter Prof. Dr. Martin Lechner gewonnen werden. Dort begann nahezu zeitgleich ein Forschungsprojekt „Religion in der Jugendhilfe“, was sich als Glücksfall für unser Vorhaben herausstellte.
  • Der AK Pastorale Angebote besucht die im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt „Religion in der Jugendhilfe“ angebotenen Studientage und partizipiert am Prozess wie an den Ergebnissen des Forschungsprojekts unter Prof. Dr. Martin Lechner.
  • Das diözesane Projekt wird durch Prof. Lechner und Angelika Gabriel, Mitarbeiterin am Jugendpastoralinstitut auch vor Ort unterstützt und begleitet.

Begleitung durch einen Beirat

  • Zur Beratung, kritischen Kommentierung und als Hilfe zur Vernetzung in die diözesanen pastoralen Strukturen wurde ein Beirat gegründet.
  • Die Zusammensetzung: Kompetenz aus den Bereichen verwandter Einrichtungen mit pastoralem Dienst: Wolfgang Ilg, Stiftung Liebenau; Ausbildung an Fachschulen, Direktor Kurt Brust, Sozialpädagogisches Institut Ravensburg; Helga Philipp, ehem. Leiterin Zentrum „guterhirte“ und ehem. AGE-Vorsitzende, für den Bereich der Erziehungshilfen; Dr. Thomas Leyener, Institut für Fort- und Weiterbildung der kirchlichen Dienste für den Kontakt mit der pastoralen Konzeption der Diözese; Regina Kebekus für den Blick nach Freiburg und Diakon Franz-Josef Scholz, Stabsstelle Caritastheologie im Diözesancaritasverband Rottenburg-Stuttgart.
  • Der Beirat traf sich insgesamt fünf Mal. Themen: Beratung, Begleitung und kritische Kommentierung der Konzeption In Hülle und Fülle; Vergleich und Würdigung verschiedener Ansätze zu Verankerung des Religiösen in Einrichtungen, z.B. das Freiburger Projekt „Religiöses Leben im Heim“; Meilensteine für einen erfolgreichen Projektverlauf; Lobbyarbeit für eine strukturelle Einbindung in die Konzeption der Gesamtpastoral; Jugendhilfe und Gemeinde- und Kategorialseelsorge; Beratungsangebote für einrichtungsinterne In-Hülle-und-Fülle-Arbeitskreise; Partizipation an den Fachtagen.

Warum der Projektname „In Hülle und Fülle“?

Eine der ersten Aufgaben nachdem das Projekts durch die relevanten Stellen auf den Weg gebracht und genehmigt wurde, sah der Arbeitskreis im Übergang vom Arbeitstitel zu einem prägnanten Namen des Projekts. Die Entscheidung fiel auf In Hülle und Fülle:

Hülle, weil ...

 

Religiöses zeigt sich „verhüllt“, es muss erst entdeckt werden.

 

Religiöses wird ‑ besonders in den Augen Jugendlicher ‑ oft als „leere Hülle“ mit leeren Formeln und Formen, als Hülle ohne brauchbaren Inhalt wahrgenommen.Viele Menschen erfahren den lebendigen Gott der christlichen Verkündigung als für ihr Leben nicht (mehr) relevant. Gottesglaube und Religion erscheinen ‑ eingehüllt in Traditionen, die man nicht mehr versteht ‑ ohne Relevanz für das wirkliche Leben.Hülle ist als der Raum zu sehen, in dem sich Leben ereignet, wo das Miteinander-Leben gestaltet wird, wo Lebenskompetenz und Identität wachsen.Über den Glauben zu sprechen ist etwas sehr Intimes.Hülle ist auch ein biblischer Ausdruck: Mose verhüllte sein Gesicht, als er Gott begegnete (Ex 3,6); Elia verhüllte sein Gesicht, als er mit Gott in Verbindung trat (1 Kön 19,13).Religiöse Symbole vermitteln dem gläubigen Bewusstsein die verhüllte Gegenwart Gottes in der Welt.Kirche und Religion sind der „dankbare Willkommensgruß für das gleichsam anonyme, verhüllte und bescheidene In-die-Welt-Kommen Gottes“ (E. Schillebeeckx).Kopftuch ...Verhüllen ist eine ausdrucksstarke kindliche und menschliche Geste bei Wut, Trauer, Freude – ein treffendes Bild dazu:

Fülle, weil ...

Fülle ein stark biblischer Ausdruck ist. „Damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10).„Die Fülle des Lebens teilen“ Misereor Fastenzeit-Motto im Jahr 2006 war.„Fülle“ etwas von der Sehnsucht des Menschen ausdrückt.

In Hülle und Fülle

In Hülle und Fülle ist gängiger Sprachgebrauch.Spannung zwischen viel und wenig, zwischen zu-viel und dem Mehr-Wert,animiert zur Suche nach den „wahren Werten“ in der Vielfalt der Angebote,weckt Neugierde,Banalität des Ausdrucks in spannender Verbindung mit hintergründiger Aussagekraft, gibt schon Antwort auf die Frage: Wie kommt die christliche Botschaft in den Alltag ...?, nämlich „In Hülle und Fülle!“, allerdings ohne dass schon alles beantwortet ist.

Der Untertitel in seinen Metamorphosen

Der Arbeitstitel, „Wie kommt die christliche Botschaft in den Alltag der Einrichtungen der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe?“ wird Untertitel ... und verliert seinen fragenden Charakter.

Er wird zur Zusage: In Hülle und Fülle(!) kommt/ist die christliche Botschaft im Alltag der Einrichtungen der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe! Entdeckt sie! Zeigt sie einander! Wenn geboten, ent-hüllt sie, löst sie von toten Formeln und leeren Formen! Aber lasst ihr auch das Geheimnis!

Soweit also ein Zugewinn, hatten wir den Eindruck; wir haben das Projekt und haben eine gute Überschrift:

In Hülle und Fülle – die christliche Botschaft in den

Einrichtungen der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe

Dann jedoch, nach der ersten Konzeptpräsentation vor den teilnehmenden Einrichtungen, wurde zunehmend deutlich, wie sehr in den Worten „christlich“, „Botschaft“, „Evangelium“, „Frohe Botschaft“ auch einengende, als lebensfeindlich(?) und weltfremd empfundene, jedenfalls nicht lebensfrohe Bedeutungen und nicht tolerante Ansprüche mitschwingen. Jedenfalls herrschen solche Erfahrungshintergründe bei vielen der Mitarbeiter/-innen in den Einrichtungen vor.

Gefragt wurde auch, wie das Projekt mit der multireligiösen Realität in vielen der Einrichtungen umgehen will.

Im Raum steht auch die nicht leicht nur mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantwortende Frage: Wie christlich und wie kirchlich müssen Mitarbeiter/-innen sein?

Die Antwortversuche bleiben meist in einem „Entmutigungseffekt“ (R. Zerfaß) stecken. Die vorherrschende Scheu und Abwehr, auch Abwertung ausdrücklich christlich-religiöser Selbstverständnisse aber soll das Anliegen unseres Projektes nicht unmöglich machen.

Deshalb haben wir uns schnell entschieden, uns diesen Effekt nicht einzuhandeln, sondern vielmehr sensibel zu sein für die Fragen, Zweifel und Bedenken ‑ und Mut zu machen, dass sich Menschen vor religiösen Fragen nicht „bedeckt“ halten müssen, dass man über verborgene religiöse Sehnsüchte unter Kolleg(inn)en und im Zusammenhang mit der Arbeit im sozialen Beruf in den Einrichtungen sprechen kann, dass die existentiellen Fragen des Lebens Raum finden sollen – in Hülle und Fülle!

In Hülle und Fülle – Religionssensible Erziehung in den

Einrichtungen der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe,

so dann auch der Titel des Projekts, in dem sich die Mitarbeiter/-innen zunehmend als erste Adressaten herausstellen, die Gelegenheiten und gestaltete Möglichkeiten haben sollen, über ihren Glauben zu reden, Fragen auszutauschen, Zweifel anzumelden und Antworten zu diskutieren. Kompetenz der Mitarbeiter/-innen im religiösen Bereich dient der fachlichen Kompetenz. Religiöse Kompetenz ist Fachkompetenz. Sie umfasst die Dimensionen „Wissen“, „Können“ und die gerade für den sozialen Beruf bedeutungsvolle Dimension der „Haltung“.

Die teilnehmenden Einrichtungen

Erfreulich und ein Signal der Akzeptanz und Sinnhaftigkeit dieses Projekts ist, dass sich nahezu alle der AGE angeschlossenen und im Strukturhilfefonds Jugendhilfe vertretenen Einrichtungen zur Teilnahme entschlossen haben.

Arbeitsweise

Bei der Arbeit in den Einrichtungen legen wir Wert auf die örtlichen Gegebenheiten.Wir versuchen die bereits ausgeübte und vorhandene religiöse Praxis bewusst zu machen und in den Einrichtungen zur Sprache zu bringen, manchmal auch zur Debatte zu stellen. Oft ist der erste Überraschungseffekt, zu entdecken, welche Vielfalt schon vorhanden ist. Daran lässt sich anknüpfen, sei es diese Praxis optimierend oder auch korrigierend.Wir versuchen, weitere (alle) Mitarbeiter/-innen in den Einrichtungen mit In Hülle und Fülle bekannt zu machen und einzubeziehen.Es sind Tal- und Durststrecken auszuhalten, vor allem wirken sich Fluktuationen der Mitarbeiter/-innen Kräfte zehrend, mitunter den Prozess unterbrechend aus.Wir nutzen die Vorgaben der Projektgruppe als Impuls für die eigene einrichtungsinterne Arbeit.Die vom AK Pastorale Angebote vorbereiteten zwei diözesanen Fachtage im Jahr nutzen wir als Chance der Vernetzung und Diskussion, der kollegialen Beratung und der Bündelung der Prozesse.Kontinuierlich werden (Teil-)Ergebnisse aufgegriffen und ausprobiert.

Die Themen und Ergebnisse der fünf Fachtage im Umriss

26. September 2006: Kick off Veranstaltung. Was will und wie arbeitet das AGE-Projekt? Bestandsaufnahme und formulierte Bedarfe zur religiösen Praxis in den beteiligten Einrichtungen; der Untertitel „Die Frohe Botschaft im Alltag der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen ...“ wird überprüft. Der Aspekt der Religionssensibilität kommt ins Spiel. 28. Februar 2007: ... auf der Folie Religionssensibilität. Themen und Bausteine aus den Einrichtungen; Präsentation und Diskussion von Fortbildungsmodulen für pädagogische Mitarbeiter/-innen. 10. Oktober 2007: Handlungsfelder und Bausteine. Vorstellen eines Dokumentationsleitfadens, mit Formblatt und zugehörigem Manual; Präsentation und Diskussion der in den Einrichtungen erarbeiteten und dokumentierten Handlungsbausteine. 27. Februar 2008: Identität im Glauben – spirituelle Kompetenz – Standpunkte und Fahrwege; Praxistag mit Dr. Wolfgang Steffel zum „Fahrplan der Gelassenheit“. 15. Oktober 2008: Zwischenbilanz und Ausblick; Faktoren des Gelingens; Religionssensibel Handeln - Umsetzungsbausteine entwickeln: Arbeit am interaktiven „In-Hülle-und-Fülle-Plakat“ sowie mit dem Leporello für Mitarbeiter/-innen und für Jugendliche.

 

Ferner hat ein Studientag am 8. Mai 2008 die Träger der beteiligten Einrichtungen sowie die Erziehungshilfeschulen in vertiefender Weise mit dem Stand des Projekts vertraut gemacht. Nach dem Vortrag von Thesen zum Forschungsprojekt „Religion in der Jugendhilfe“ durch Prof. Lechner wurde in Workshops zum Thema In Hülle und Fülle als Beitrag zu einer religionssensiblen Schule gearbeitet: Der Morgenkreis & In Hülle und Fülle; In Hülle und Fülle & vernetzter Unterricht; Gottesdienste und Gottesdienstvorbereitung & In Hülle und Fülle; In Hülle und Fülle, pädagogischer Alltag und Führungsphilosophie.

Ein Resumée ...

Dass und wie In Hülle und Fülle in unseren Einrichtungen der Erziehungshilfen ankommt und welchen Prozess In Hülle und Fülle in der Projektphase durchläuft, wurde immer wieder thematisiert, so dass für alle Beteiligten Selbstvergewisserungen über den Stand festgemacht und die Weiterentwicklung des Ansatzes gestaltet werden konnte.

Dabei galt es, „Stimmungen“ aus den Einrichtungen zu hören und in Beziehung mit den Erfahrungen der am Projekt Teilnehmenden zu bringen. Bestätigendes hatte ebenso Platz wie die bleibenden Fragen, die scheinbaren und offensichtlichen Probleme, wenn es um Religiöses, Glaube und Kirche geht. Oft mangelt es an Sensibilitäten von welcher Seite auch immer. Wie kann dennoch das Anliegen in guter Atmosphäre und in kompetenter Weise zur Sprache kommen? Zunehmend hat In Hülle und Fülle Neugier, Interesse und Wertschätzung erfahren und geweckt.

Wie können unsere Adressat/-innen, die Kinder und Jugendlichen spüren, dass Religion „hilft“, Halt gibt im Leben, einen Raum öffnet zum Feiern, Danken, Verzeihen?

Die Jugendlichen spüren das umso eher, wenn die Erwachsenen es vorleben und „dahinter stehen“, so ein Fazit.

Zur Sprache kam auch das Dilemma, dass die Kinder und Jugendlichen, mit denen es die Erziehungshilfe zu tun hat, oft die Erfahrung machen, dass sie „im normalen Leben“ ausgegrenzt und gemieden werden – auch in christlichen Gemeinden, nicht aus „bösem Willen“, sondern weil Gemeindemitglieder ihrer Prägung entsprechend oft „mittelstandsorientiert“ agieren. Aber wie kann religionssensible Erziehung „den guten Bürger“ ohne zu überfordern sensibel machen für die Bedürfnisse nach Beziehung, Annahme, Akzeptiert-Sein, auch wenn „die Jungs etwas schwierig sind“?

Neben der Bestätigung dieser Erfahrung von mehreren Seiten konnten auch Lichtblitze gelungener Begegnungen aufgezählt werden, z.B. wenn auf einer Fußwallfahrt über mehrere Tage das Gefühl von Angenommensein und ein „echtes“ Beziehungsangebot auf der einen Seite möglich wurde und das Staunen über die Offenheit und Unmittelbarkeit im sich Begegnen und einander Erzählen zu nachhaltigem Eindruck, ja zu Freundschaften heranreifte.

Was also hat In Hülle und Fülle geleistet? Es dient der Stärkung junger Menschen und deren Lebensfähigkeit.

... und ein hoffnungsvoller Abschlussexpuls

zum ausprobieren und praktizieren empfohlen: Ein ausgeteiltes „Körnersäckle“ gibt die Frage auf: Wo hat sich für mich „Hülle“ und „Fülle“ gezeigt? Es ist ein „give-away“ (schwäbisch: Mitbringsel) , das vom Geschenk kündet, das wir in Händen haben, weil Andere gearbeitet und ein Anderer, Gott, hat wachsen lassen.

In Hülle – die Erbse in der Schote              

In Hülle – der Keimling im Korn,               

In Hülle – verborgen und geborgen,          

In Hülle – verborgen und versteckt,          

In Hülle

In Fülle

In Fülle – fruchtbare Ähren,       

In Fülle – Leben in Fülle.

Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben

(Joh 10, 10).

Projektleiter Pfr. Martin Schwer, im März 2009